Strafrechtliche Methodik (Modulares Lernen)
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11.10.2024
Das methodische juristische Arbeiten ist in Strafrechtsklausuren essentiell, um eine systematische und präzise Bearbeitung der rechtlichen Fragestellungen zu gewährleisten. In kaum einem Rechtsgebiet steht man in einer Klausur unter einem so enormen Zeitdruck und hat aber gleichzeitig eine so klare Prüfungsstruktur. In der Klausurbearbeitung ist daher ein strukturiertes und methodisches Vorgehen unerlässlich um einerseits die eigenen Gedanken zu ordnen und andererseits eine sauber strukturierte Klausurlösung zu verfassen. Dabei hilft es, sich die folgenden Grundsätze vor Augen zu führen:
1. Sachverhaltsanalyse:
Der erste Schritt besteht in der gründlichen Lektüre des Sachverhalts. Alle relevanten Informationen werden erfasst, sortiert und nach Beteiligten, Handlungen, Tatzeitpunkten und Tatorten sowie subjektiven Tätervorstellungen strukturiert. So gelingt es, den Sachverhalt in sinnvolle Abschnitte einzuteilen, die sich etwa an einer zeitlichen oder örtlichen Zäsur oder einer Zäsur in der Tätervorstellung orientieren. Außerdem werden wichtige Probleme und strittige Punkte identifiziert.
Klausurtipp:
Markiere in deinem Sachverhalt mit unterschiedlichen Farben. Eine Farbe für Tathandlungen, eine für Taterfolge, eine für subjektive Vorstellungen und eine für sich aufdrängende Probleme.
2. Gutachtenstil:
Das Herzstück des methodischen Arbeitens bildet auch im Strafrecht der Gutachtenstil. Dieser folgt einem festen Schema: Im Obersatz wird die rechtliche Frage präzise formuliert, gefolgt von der Definition der einschlägigen Tatbestandsmerkmale. Die Subsumtion wendet diese Definitionen auf den Sachverhalt an, bevor der Ergebnissatz den Obersatz abschließend beantwortet.
3. Tatbestandsprüfung:
Die Prüfung gliedert sich in den objektiven und subjektiven Tatbestand. Es folgt die Überprüfung der Rechtswidrigkeit und schließlich der Schuld. Dabei werden mögliche Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründe berücksichtigt.
4. Besondere Problemstellungen:
Wichtige Aspekte wie Teilnahmeformen (Täterschaft, Anstiftung, Beihilfe), Versuch, Irrtümer (Tatbestands- und Verbotsirrtum) und Konkurrenzen (Tateinheit, Tatmehrheit) sind gezielt zu prüfen und sauber voneinander abzugrenzen.
5. Arbeiten mit Grundsatz und Ausnahme:
Bei der Anwendung der Normen ist es entscheidend, mit Grundsatz und Ausnahmen zu arbeiten. So geht der Gesetzgeber oftmals von einem Regelfall aus (dem Grundsatz) und normiert entweder selbst Ausnahmen oder es werden Ausnahmefallgruppen durch Rechtsprechung und Literatur entwickelt. Beispiele für dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis werden dir auch immer wieder in den Constellatio-Artikeln begegnen!
6. Auslegungsmethoden:
Im Strafrecht sind die gleichen Auslegungsmethoden wie im Zivilrecht zu beachten.
Die Wortlautinterpretation bezieht sich auf den klaren Text des Gesetzes.
Systematische Auslegung betrachtet den Zusammenhang innerhalb des Gesetzeswerks, hier also dem StGB,
während die teleologische Auslegung den Zweck der Norm in den Vordergrund stellt.
Schließlich berücksichtigt die historische Auslegung die Entstehungsgeschichte und den Willen des Gesetzgebers.
Klausurtipp:
Meist spielt der Wortlaut im Strafrecht die wichtigste Rolle! Wegen des strengen Bestimmtheitsgrundsatzes im Strafrecht und des Verbots der täterbelastenden Analogie ist der Wortlaut von entscheidender Bedeutung! Daher sollte man auch bei der teleologischen Auslegung eher restriktiv sein. Eine historische Auslegung scheitert ohnehin meist an den fehlenden Informationen in der Klausursituation.
7. Aufbau und Struktur:
Die Klausur sollte mit einer klaren Einteilung in Sachverhaltsabschnitte beginnen. Sodann sollte innerhalb der Sachverhaltsabschnitte nach Tätern strukturiert und gegliedert werden (I. Strafbarkeit des X, II. Strafbarkeit des Y, usw.), gefolgt von der systematischen Abarbeitung der Tatbestände, Rechtswidrigkeit und Schuld. Begonnen werden sollte mit den schwersten Delikten, bevor einfachere geprüft werden.
8. Modulares Arbeiten:
Eine Besonderheit des Strafrechts ist das modulare Arbeiten. Im Strafrecht gibt es für jeden Prüfungspunkt streng vorgegebene Unterschemata, die je nach zu prüfendem Delikt modular zusammengesetzt werden können, sodass sich ein richtiges Gesamtschema für das jeweilige Delikt ergibt. So unterscheidet sich die Prüfung eines Delikts als vollendetes Begehungsdelikt von der Prüfung als versuchtes Delikt. Gleiches gilt für Fahrlässigkeitsdelikte, Mittäterschaft, Anstiftung, Beihilfe und mittelbare Täterschaft. Das modulare Arbeiten ist ebenso auf die Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe anwendbar. Jeder Rechtfertigungsgrund, beziehungsweise Entschuldigungsgrund hat ein fest vorgegebenes Schema, das dann im Prüfungspunkt der Rechtswidrigkeit respektive Schuld modular ins Gesamtschema eingefügt werden muss.
9. Beispiele:
Beispiel 1:
Wird § 212 I StGB als vorsätzliches Begehungsdelikt geprüft, muss oben dargestelltes Grundschema verwendet werden.
Wird ein Totschlag in Mittäterschaft geprüft, muss das Schema der Mittäterschaft einbezogen werden, sodass das Gesamtschema aus den Modulen Schemata “Mittäterschaft” und “Totschlag, § 212 I StGB” besteht. Besonderheiten ergeben sich im Gesamtschema bei der Schuld und der Rechtswidrigkeit, die bei Anlass für die Täter gesondert geprüft werden müssen, weil etwa Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe, Schuldfähigkeit oder Irrtümer unabhängig voneinander bei den Tätern vorliegen können. Dann bietet sich jedoch eine getrennte Prüfung an.
Beispiel 2:
Muss ein Totschlag geprüft werden und kommt eine Rechtfertigung durch Notwehr (§ 32 StGB) in Betracht, besteht das Gesamtschema aus den Schemata “Totschlag, § 212 I” und “Notwehr, § 32 StGB”.
Beispiel 3:
Wird ein Totschlag durch Unterlassen geprüft, müssen die Schemata “Totschlag, § 212 I StGB” und “Unterlassungsdelikt” als Module in das Grundschema miteinbezogen und verbunden werden.
Beispiel 4:
Soll eine Anstiftung zum Totschlag geprüft werden, setzt sich das Schema aus den Modulen “Anstiftung” und “Totschlag, § 212 I StGB” zusammen.
Diese Liste könnte beliebig fortgesetzt werden. Je nach Fallgestaltung sucht man sich also die (Unter-)Schemata zusammen und vereint sie zu einem passenden Gesamtschema.
9. Zeitmanagement:
Ein realistisches Zeitmanagement und abschließende Kontrolle der Arbeit sind essenziell für eine vollständige und präzise Bearbeitung der Klausur, denn erfahrungsgemäß ist eine gute Zeiteinteilung bei Strafrechtsklausuren am wichtigsten. Das liegt vor allem daran, dass das Strafrecht weniger komplexe Lösungswege bereithält. Während es im Zivilrecht oftmals nicht nur einen Weg gibt, ans Ziel zu kommen, ist der Weg im Strafrecht klar vorgegeben. So sind die in Frage kommenden Delikte schnell geklärt und es müssen “nur” die damit verbundenen Probleme ausgemacht werden. Die Schwierigkeit besteht also nicht darin, eine Anspruchsgrundlage zu finden, sondern die Masse aller möglichen Strafbarkeiten abzuarbeiten und alle Probleme darzustellen. Die Strafrechtsklausur wird daher auch häufig “Rennfahrerklausur” genannt. Oftmals zeichnet man sich schon durch eine vollständig bearbeitete Klausur gegenüber anderen Bearbeiten aus, die mit einem Gesamtergebnis und - das i-Tüpfelchen - der Prüfung möglicher Konkurrenzen abschließt.